Nachruf - Heiner Adler

 

Nachruf für Heinz (wie ihn alle nannten Heiner) Adler
verstorben am 27. November 2021 im 79. Lebensjahr

Heinz Adler wurde in den immer drängender werdenden Kriegswirren, am 13. Mai 1943, als zweiter Sohn seiner alleinstehenden Mutter geboren. Diese nahm sich selbst zwei Jahre später das Leben. Die beiden kleinen Kinder kamen in die Obhut der Großeltern mütterlicherseits, sein Vater blieb für ihn lebenslang unbekannt. Der Großvater wurde selbst 1945 Witwer und gab beide Enkelkinder in die Obhut der Karmelitenschwestern im Frankfurter St. Josefsheim und verschwand aus dem Leben von Heiner für immer. Der Versuch einer in FFo lebenden, verwitweten Tante, die beiden Neffen in Pflege aufzunehmen, scheiterte nach 9 Monaten, sodass Heiner und sein Bruder Horst als Waisenkinder ihre gesamte Kindheit im St. Josefsheim verlebten. Diese Sozialisation im Katholischen Kinderheim prägte ihn wesentlich und nachhaltig. Heiner verstand sich, in allen wechselnden, auch mitunter bedrängenden Lebenslagen und –zeiten, als gemeinschafssuchender und -bildender „Gruppenmensch“ sowie als katholischer Christ. Er lebte als aktives Mitglied seiner Pfarrgemeinde in Frankfurt(Oder) und verstand sich als Christ in der Weltkirche.

Sein eigentliches Zuhause blieben die Karmelitenschwestern, zu denen er, über den Tod seiner Bezugsschwestern aus dem Kinderheim hinaus, immer feste Beziehungen pflegte. Ich selbst durfte Zeuge seiner Bemühungen werden, als er die Generaloberin des Ordens im Mutterhaus in Sittard (Holland) davon überzeugte, nach der politischen Wende, eine neue Niederlassung in Russland zu gründen. Er schaffte dies mit Unterstützung des dortigen Bischofs. Auch Taganrog wurde sein neues Unterstützungs- und Reiseziel. In Sittard standen wir gemeinsam am Grab seiner Kinderschwester. Aber auch die Karmelitenklöster in Berlin, Halberstadt und München waren ihm vertraut, er kannte und besuchte diese immer wieder und war selbst dort bekannt und geschätzt.

Sein weiteres, ganz wesentliches Bezugsfeld, ich denke auch Heimat, wurde und blieb seine Pfarrgemeinde in Frankfurt (Oder). Wer kannte ihn dort nicht, wen kannte er nicht?

Als Messdiener und Oberministrant, als langjähriger Gruppenführer einer Kindergruppe, als Wiedereinrichter der Pfarrbibliothek nach deren Schließung durch die Polizei, als Helfer an der Seite der Kapläne und Pfarrer für viele kleine und größere Dienste, als Mitglied der Männerschola, als Jemand, der unterschiedlichste Menschen zusammenführte aus Gemeinde, Stadt, aus Ausbildungszeiten, aus der Stadtpolitik (in der er nach der Wende als Abgeordneter und CDU Vorstand engagiert mitwirkte), aus der Nachbarschaft und solche, die er in der Gemeinde und manchmal auf der Straße ansprach und einlud, wie zuletzt manche Flüchtlinge, die allein nach den Gottesdiensten an der Kirchentür verweilten.  Heiner führte Menschen zusammen und feierte gern mit ihnen. Seine Jubiläen und Geburtstage wurden öfter zu kleinen Gemeindefesten mit Gottesdiensten. Und immer gab es reichlich Essen (Kassler) und zu trinken und wurde ebenso kräftig gesungen. Und an dieser Stelle sollen seine selbstgebackenen Pfannkuchen für Faschingsfeiern in der Gemeinde, für die Sternsingerbesuche und zu anderen Gelegenheiten erwähnt werden, an die sich viele aus unserer Pfarrgemeinde erinnern werden. Alle seine Freundschaften und Beziehungen konnten seinen Schmerz über sein Alleinleben nicht wegnehmen. Er vermisste eine eigene  Familie sehr, wandte sich aber entschieden ab, wenn eine Frau eine gemeinsame Zukunft mit ihm leben wollte. Wie waren wir alle verwundert, als wir erst jetzt seinen unterdessen 40jährigen Sohn aus einer solchen Beziehung kennenlernten. Dessen Existenz steht für seine  fundamentale Bindungsangst und seine große Angst, Wertschätzung und Anerkennung zu verlieren. Vermutlich lassen sich diese seine Nöte nur mit seinem Aufwachsen im Kinderheim erklären.

Über die Stadt hinaus wurde er bekannt durch seine vielen Reisen ins und Hilfsaktionen im Ausland. Vor der politischen Wende waren es Russlanddeutsche in der ehemaligen Sowjetunion, Christen in Rumänien, der CSSR und in Ungarn, die er mit materieller Unterstützung aus Spendensammlungen, aber auch mit Bibeln, religiöser Literatur, Kultgeräten und Gewändern versorgte. Neue Freiheiten nach der politischen Wende nutzte er für vermehrtes und von seinem Dienstherrn Caritas unterstütztes Engagement. Das herausragendste Beispiel dafür wurden seine Initiative für den Bau und nachfolgende Geldsammlungen  für ein, von Ordensfrauen geführtes neues Kinderheim in Nowosibirsk. Aber auch viele Ferienaufenthalte von Kindern aus Rumänien, Russland und  Ungarn in katholischen Ferienhäusern in Deutschland , bleiben den beteiligten Kindern unvergessen.

Seine berufliche Entwicklung bezeugt seine unglaubliche Energie und Willenskraft, wenn er gesteckte Ziele erreichen wollte. Wege und Umwege, Netzwerke und eingeforderte Unterstützung von Freunden und Bekannten zeichnen seinen Weg. Nachdem er mit dem Abschluss der 7. Klasse, keineswegs als Musterschüler die Schule verlassen und eine Bäckerlehre antreten musste, erwarb er sich trotz harter Arbeit in der Backstube den Abschluss als Geselle und in der Volkshochschule den nachgeholten Abschluss des achten Schuljahres. Er befreite sich bald aus der Pflicht und Enge der Bäckerei, ging in eine Gärtnerei arbeiten und lernte in der Volkshochschule, legte dort erfolgreich die Mittlere Reife ab. Mit diesem vorausgesetzten Abschluss wollte er, mit dem Ziel Priester zu werden, im Spätberufenen - Seminar „Norbertinum“ in Magdeburg das kirchliche Abitur als Voraussetzung für ein Theologiestudium erwerben. Als diese Hürde sich als zu hoch erwies, ging er nach Frankfurt zurück, schloss nebenberuflich bei einer Verwaltungstätigkeit beim Kohlehandel und in der Friedhofsverwaltung eine Handelskaufmannslehre ab und strebte in der ihm gut bekannten Volkshochschule im Abendstudium das Abitur an. Das gelang ihm. Nun schaute sich Heiner nach einer seinen Bedürfnissen und Engagements entsprechenden Ausbildung möglichst im Raum der Kirche um. Der Caritasverband Berlin, der bis zu seinem Renteneintritt sein Dienstherr bleiben sollte, deligierte ihn zu einem Studium als Sozialarbeiter im Seminar für Kirchlich-Caritativen Dienst in Magdeburg. Nach dem erfolgreichen Abschluss wurde ihm die Sorge für Caritasarbeit im Dekanat Strausberg, als sogenannter Dekanatsfürsorger übertragen. Die Aufgaben dieses Amtes und die Freiheit, die man seiner Phantasie und seinem Engagement dort lies, nutzte er. Nach relativ kurzer Zeit schätzten ihn die dort wirkenden Pfarrer sehr. Er wurde für viele junge und ältere Menschen zum überall bekannten und gesuchten Caritasvertreter in diesem Dekanat.

Umstrukturierungen in allen Bereichen der institutionellen Caritas nach der Wende, bedingten auch neue Strukturen und Finanzierungen. Heiner Adler wurde die Heimleitung des Kinderheimes in Bad Saarow angeboten, welches nach Weggang der dortigen Hedwigsschwestern eine neue Leitung brauchte. Er sagte gern zu und musste in den wenigen Jahren seines Wirkens dort die Erfahrung machen, dass Kinderheim aus der Perspektive eines Verantwortlichen, etwas ganz anderes ist als aus der eines betreuten Waisenkindes. Mitarbeiterführung, ständige Geldsorgen, erziehungsschwierige Kinder und Jugendliche waren ungewohnte und schwere neue Aufgaben in den „wilden 90er Jahren“ des allerorten verunsichernden Strukturwandels. Hinzu kamen neue Aufgaben in der Kommunalpolitik in seinem Wohnort Frankfurt, den er, gegen manchen Widerstand und Herausforderungen nie aufgeben wollte (sogar einer potentiellen Ehefrau soll er schließlich wegen des gemeinsamen Wohnsitzes „einen Korb gegeben“ haben), und sein weiteres Engagement für Kinder in Nowosibirsk, Rumänien und Russland .

Er legte die Heimleitung in Bad Saarow nieder und wurde mit besonderen Aufgaben des Caritasverbandes betraut. Die Arbeit für ausländische Kinder, der Aufbau von Carisatt-Läden in Frankfurt und nachfolgend im Bistum, forderten ihn neu. Seine Arbeit, vorwiegend am und vom Wohnsitz aus und nah der Gemeinde, schenkten ihm ein erfolgreiches und befriedigendes Einsatzgebiet in seinen letzten Arbeitsjahren. Das von ihm ins Leben gerufene Carisatt-Weihnachtsfest für einsame und hilfesuchende Menschen am Heiligen Abend, dass er über 20 Jahre und lange noch aus dem Rentenstand organisierte und verantwortete, wurde sein Vermächtnis, für das er einfach keinen Nachfolger fand (oder konnte er selbst nicht davon lassen?). Noch vom Krankenbett bzw. sogar aus dem Krankenhaus, versuchte er in den letzten zwei Jahren trotz wachsender und stärker auftretender Beschwerden die Fäden in der Hand zu behalten und die „Strippen zu ziehen“.

Heiner Adlers festes Fundament im christlichen Glauben, seine behütete Kindheit im christlichen Kinderheim, seine unbedingte Willenskraft, über Höhen und Tiefen, wenn es sein musste auch haarscharf an Gesetz und Verordnung vorbei, und sein unkompliziertes hilfreiches Engagement für so viele Menschen, die ihn suchten und brauchten, seine Tatkraft und Phantasie wie auch das Nutzen aller nur möglichen Netzwerke und Beziehungen, bewirkten viel Gutes und Großes. Insbesondere bei der Akquisition von Spenden in Sach– und Geldwerten, die er für seine Hilfsprojekte weiter reichte, zeigte er eine besondere Begabung. (Manche berichteten, dass sie ihm mitunter auch beizeiten aus dem Wege gingen, um nicht Brieftasche oder Scheckheft (erneut) zücken zu müssen).

Wegen seiner Haltung und seinem anhaltenden Engagement erhielt er den päpstlichen Silvesterorden verliehen, den er gern bei festlichen Anlässen am Jackett trug.

Andere Auszeichnungen von Caritas, Stadt und Kirche empfing er gern und nahm sie dankbar als Lohn für seine Dienste an. Eine große Genugtuung empfand er mit seinen, kurz vor seinem Tode im Selbstverlag erschienenen, Lebenserinnerungen HERZ-VERSTAND-TAT. Lange und angestrengt hatte er daran gearbeitet und erhebliche finanzielle Mittel für den Druck aufgewendet. „Das war mein Leben“ sagte er mehrfach darüber.

Heiner Adler wird unserer Gemeinde, unserer Stadt, seinen Freunden in Ferne und Nähe fehlen. Sein Gesicht, seine Nähe, seine ursprüngliche Kontaktpflege, seine immer offene Hilfsbereitschaft, sein Brückenbauen zwischen Interessierten wie Gegnern. Die vielen Menschen bei seiner Trauerfeier machte das beeindruckend deutlich. Wir wollen ihm dankbar sein für alles Gute, was er wirken durfte und wir durch ihn erfahren haben. Und wir wollen verzeihen ,wenn er  uns  manchmal und manchen durch ein  provokantes Wort herausgefordert hatte. Er wollte uns immer nahe sein und lud in sein Alleinleben uns alle ein, ihm näher zu kommen. Und nun ist er uns vorausgegangen. 

Martin Patzelt